Harald Petersen
Harald Petersen

in der Pfarrkirche St. Laurentius in Feldkirchen-Westerham mit Pastoralreferent Harald Petersen und Pfarrer Samuel Fischer. Die Predigt gehalten von Herrn Harald Petersen.

Liebe Mitglieder des Senioren- und Heimatvereins, liebe Familienmitglieder und Gäste, liebe Schwestern und Brüder, 

ich muss gleich mit einem Geständnis beginnen. Dafür, dass ich im Seelsorgeteam für die Seniorenpastoral zuständig bin, wusste ich bis vor ein paar Wochen erschreckend wenig über ihren Verein. Dafür erst einmal ein herzliches mea culpa. Abgesehen von meiner Nachlässigkeit bezeugt diese Tatsache für mich aber noch etwas ganz anderes. Nämlich, dass sie als Verein und als Gemeinschaft ganz gut alleine zurechtkommen! Und das nicht erst seit gestern, sondern seit stolzen 150 Jahren. 

Das sie auf bürger- und gesellschaftliches Engagement gegründet sind und nicht auf staatlicher, kirchlicher oder hauptamtlicher Imitative steckt ihnen ganz besonders in den Genen und wurde ihnen, soweit ich weiß, schon von ihrem Gründer Johann Baptist Korntheuer ins Stammbuch geschrieben. Leider weiß ich von diesem Mann und seinen ersten Mitstreitern ebenfalls recht wenig. Ich muss also mutmaßen, kann mir aber vorstellen, dass hinter der Gründung ihres Vereins eine ähnliche Erfahrung steckte, wie sie Jakob am Jabbok gemacht hat. Es gibt Situationen im Leben, Scheidewege und Kreuzungen, in denen man nichts geschenkt bekommt; in denen Schwierigkeiten und Hindernisse den Weg versperren die es zu überwinden gilt; Krisen, in denen sich aber auch neue Chancen auftun, wen man bereit ist zuzupacken. Und Situationen in denen Segen eben nicht vom Himmel fällt, sondern dem Leben und Gott abgerungen werden möchte.

In vielen Gesprächen in der Seniorenseelsorge habe ich den Eindruck gewonnen, dass das älter werden im Allgemeinen, der Eintritt in den Ruhestand, der Abschied vom Lebenspartner, der Partnerin aber auch die Suche nach neuen und sinnstiftenden Betätigungen im Alter für viele solche Situationen, Entwicklungs- und Lebensaufgabe darstellen. Schon bei der Gründung ihres Vereins, so habe ich es verstanden, ging es in erster Linie darum, zum Gelingen dieser Übergänge beizutragen und der drohenden Isolation und Einsamkeit im Alter entgegen zu wirken. Dahinter stand nicht der Wunsch unversehrt durchs Leben und bis ins hohe Alter zu kommen, sondern vielmehr die Idee, wie Jakob, vom Leben gezeichnet, trotz schmerzender Hüfte und notfalls hinkend aber hoffnungsvoll und interessiert Neuland zu entdecken.

Sie stellen in ihrem Vorwort zur Jubiläums-Festschrift die Frage, wie es möglich sei, dass ein 1871 in einer völlig anderen Zeit und Gesellschaft gegründeter Verein, immer noch am Leben und bei bester Gesundheit sein kann? Und sie kennen auch die Antwort. Sie liegt in der Aktualität und Brisanz dieser alten Grunderfahrung und Grundidee. Schon lange, lange vor Korntheuers Zeiten hatten es alte Menschen nicht einfach, vor allem, wenn sie alleine waren. Kinderlose und Witwen hatten es demnach besonders schwer. Wer sich nicht mehr aus eigener Kraft ernähren und für seinen Unterhalt sorgen konnte und wer nicht Teil einer bestenfalls reichen Großfamilie war, der war direkt von Isolation, Armut und Hunger bedroht. 

Dass alte Menschen wie Simeon und Hanna oft im Tempel zu finden waren, hatte nicht nur religiöse oder fromme Gründe, sondern immer auch soziale. Sie suchten nicht nur Gott, sondern oft auch Gemeinschaft, ein Dach über dem Kopf und ein Stück Brot. Was mir an der Erzählung aus dem Lukasevangelium so gut gefällt und warum ich sie, neben der Erzählung aus dem Alten Testament, für ihr heutiges Fest ausgewählt habe ist aber nicht nur diese eine Parallel. Ich finde es bemerkenswert, wie respektvoll der biblische Text über die beiden spricht. Sie sitzen nicht einfach passiv oder nach Almosen bettelnd in der Ecke des Tempels. Sie haben Lebenserfahrung, die nötige Zeit und Geduld und einen geschärften Blick für das Wesentliche. Im allgemeinen Trubel des Tempelbetriebs erkennt außer ihnen niemand, wer da auf Marias Armen in das Haus seines Vaters getragen wird. Erst, als sich die beiden aktiv in die Geschichte einmischen, ihr Wissen und ihre Erfahrung teilen, wird Heil und Segen für alle sicht- und spürbar.

Der wichtigste Grund, warum ihr Verein heute noch besteht, sind also Menschen wie Simeon und Hanna. Das haben sie längst selbst so festgestellt. Es sind Senioren und Seniorinnen, die ihre Gemeinschaft und dadurch auch die Gesellschaft aktiv gestalten wollen. Menschen, die sich selbst nicht nur als Betroffene erleben, sondern ihre Betroffenheit überwinden und zu ihren betroffenen Mitmenschen gehen. Auch und gerade dann, wenn die eigenen Lebensumstände oft alles andere als leicht sind.  Dafür gebührt ihnen allen und den Genrationen vor ihnen mein tiefempfundener Dank und Respekt. Ich bin überzeugt, dass es über die Jahre in ihrem Verein viele Mitglieder und auch Ehefrauen und Witwen von Mitgliedern gab, die mitgestaltet haben, die prophetisch und segensreich für ihren Verein, ihre Gemeinschaft und auch ihren Ort tätig waren.

Ich finde es daher auch mehr als stimmig und irgendwie fast eine logische Konsequenz, dass sie sich als Verein vor einigen Jahren dazu entschlossen haben, neben der Seniorenarbeit noch zwei weitere Tätigkeitsfelder anzugehen: Die Patenschaften für Schüler und Auszubildende mit Handicaps beim Übergang in die Arbeitswelt und die Betreuung der Heimatkundlichen Sammlung der Gemeinde. 

Wer, wenn nicht sie, die sie den Übergang ins Alter aktiv gestalten, wäre besser geeignet um jungen Menschen bei der Gestaltung ihrer Übergänge und Entwicklungsaufgaben zu helfen. Und auch als Heimatkundler und -forscher ist es ihre Aufgabe die großen Übergänge, Entwicklungen und Veränderungen ihres Dorfes und seiner Bewohner zu dokumentieren und für die Nachwelt zu sichern. Auch wenn diese Aufgaben auf den ersten Blick doch recht unterschiedlich scheinen, braucht es doch für beides ähnliche Fähigkeiten und Kompetenzen, die sie als ältere und erfahrene Menschen haben: Zeit und Geduld, genaues Hinsehen, Lebenserfahrung und Weisheit, Zuspruch und Segen. 

Liebe Schwestern und Brüder, nach allem, was ich über ihren Verein erfahren habe, glaube ich, dass ihr Erfolg und ihr 150 jährigen Bestehen in doppelter Hinsicht segensreich ist: Ihr Verein, seine Arbeit und seine Mitglieder sind von Gott gesegnet und sie sind ihrerseits für viele Menschen zum Segen geworden. 

Ein wirklich schöner Grund, um heute einmal Danke zu sagen: Dank ihnen für ihr Tun!
Und Dank sei Gott, dass es sie seit 150 Jahren gibt! Amen.